TRETET EIN, DENN AUCH HIER SIND GÖTTER! // Prämiert / Inszenierung des Monats // ein reizvolles, bildermächtiges Stück an einer aufregenden neuen Spielstätte

AKT/ Henriette Westphal // Dorothea Marcus – 01.06.2011

05 akt 25     Juli ’11 Prämiert

Sinnhäppchen und Abendmahlgurgeln
raum13 eröffnet mit „Tretet ein, denn auch hier sind Götter!“
das Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste

Die Prozession der Zuschauer beginnt im riesigen Treppenhaus, wo Kölner Bürger auf Bildschirmen Sinnfragen beantworten – die man leider weder richtig hört noch erfassen kann. Weiter geht es im 2. Stock, ein weißer Raum mit großen Fenstern, die einen Blick auf Deutzer Industrie-Idylle erlauben. Rauchende Schornsteine, kaputte Fensterscheiben, hier und da ein Graffiti an der Wand, doch um die Tanzböden zu schonen, werden Füßlinge gereicht.

Im Innenhof wartet eine Braut, ganz in Weiß, die auf der weißen Bühne umringt wird von acht Tänzern mit Trommeln, leicht bekleidet in Rot und Schwarz. Wie eine Herde Schafe folgen wir Zuschauer der Gruppe mit dem treibenden Rhythmus, eingestimmt als quasi-religiöse Kultgemeinschaft. Die Gruppe stoppt, die untergehende Sonne im Rücken ruft der Chor: „Jetzt ist Zeit“. Ein Motto, das auch Anja Kolacek und Marc Leßle, die Gründer des neuen Kunsthauses für Köln, auf Aufkleber und T-Shirts haben drucken lassen. Das Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste soll das neue kreative Zentrum von raum13 werden, zuerst auf drei Jahre begrenzt. Das Gelände an der Deutz-Mühlheimer Straße hat mehrere tausend Quadratmeter Nutzfläche, halb verfallene Lagerräume reihen sich aneinander und strahlen jenen Backstein- Chic aus, für den man gewöhnlich ins Ruhrgebiet fährt. Das Stück „Tretet ein, denn auch hier sind Götter!“ eröffnet die Zeit in diesem neuen Kunsthaus. Die Prozession, allen voran die Braut, endet schließlich in einem langen, dunklen Maschinensaal und verwandelt sich in ein zumeist simultan getanztes Szenario über Religion und Rituale: die Braut ist mal Angebetete, mal Sektenführerin, dann wird sie wie ein Tier von den anderen zerfleischt.
„Auf zum Paradies, wir sind exklusiv“ ruft der Chor und zählt auf, wer alles anerkannt wird: Karl Marx, Brad Pitt, Charles Manson, Steffi Graf… Welche Religion darf es
sein: Kapitalismus, Sozialismus, Egoismus…? Die Liste ist beliebig und banal und schrammt an der Grenze zur Peinlichkeit.
Und erzählt doch etwas über heutige Patchworkreligion und die Sucht nach neuen Kulten. Mit aufgerissenen Mündern und zum Himmel gestreckten Armen geht es weiter, Geige und Schlagzeug von Nico Stallmann und Frank Brempel sorgen für treibende Musikbegleitung, die im unheimlichen Raum auf eine fantastische Akustik trifft. Glaube und Religion sind ein gewaltiges Thema, an dem man sich schnell überheben kann. Anja Kolacek und Marc Leßle bearbeiten das Thema mit Bewegungssystemen aus verschiedenen Zeiten und erzählen eine kleine
Geschichte der Rituale: es beginnt mit klassischen Ballett-Positionen, die ja zu Zeiten der Aufklärung auch das Streben nach dem Göttlichen versinnbildlicht haben, später meint man, Elemente aus Labans Bewegungslehre oder indische Tempeltänze zu erkennen. Im Kollektiv schminkt man sich die Lippen rot, geht streng abgezirkelte Bodenmuster ab, die an Kirchgänge erinnern. Immer wieder entstehen starke Bilder, wenn etwa die Braut den am Boden liegenden Tänzer feierlich einen roten Saft einflößt, mit dem sie auf einmal zu gurgeln beginnen – eine dumpfe, fremde Art von Musik zu einem befremdlichen Abendmahl. Der Mensch schafft sich seine Rituale selbst und erhebt sie zum Gesetz. Religion gibt Halt, kann aber zu Zwang oder zerstörerischem Wahn werden, der zugleich ironisiert wird: mit blinkenden, ferngesteuerten Helikoptern zu Wagners Götterdämmerung, ein ironisches Zitat aus Coppolas „Apocalypse Now“. Die körperlich sehr präsenten Tänzer bleiben nicht geschont und erinnern in der zwanghaften Choreografie dennoch manchmal an ein seichtes Fernsehballett. Und zugleich erkennt man darin das rauschhafte, sektenhafte Aufgehen in die Masse, die schließlich einen Hirschgott anbeten – immer und immer wieder mit den gleichen mechanischen Bewegungen in der langen Halle vor und zurückprozessieren. Können Religionen im 21. Jahrhundert Antworten geben? Das war die Frage, die Kolacek und Leßle beantworten wollten. Allenfalls erzählen sie jedoch, dass es immer noch eine Sehnsucht nach Göttern und formalen Haltepunkten gibt. Doch auch wenn sich der Abend kamikazehaft übernimmt in seinem Anspruch, bleibt es ein reizvolles, bildermächtiges Stück an einer aufregenden neuen Spielstätte.

Henriette Westphal /Dorothea Marcus

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