VOM OTTO-MOTOR ZUR KUNST-FACTORY
RAUM13, ANJA KOLACEK UND MARC LESSLE, ERÖFFNEN DAS „DEUTZER ZENTRALWERK DER SCHÖNEN KÜNSTE“

AKT/ Dorothea Marcus – 01.06.2011

Man muss sie als leicht wahnsinnig bezeichnen. Anja Kolacek und Marc Leßle von raum13, die vor genau einem Jahr eine große, leere Halle in Mülheim als Tanzhaus Köln Interim aus dem Nichts erschufen und es drei Monate lang bespielten, bevor vom Rat das Ende des Projekts beschlossen wurde, haben ein neues Baby gefunden.

Aber es ist eine Art von Verrücktheit, die visionär wirkt und das Zeug hätte, einen völlig vergessen wirkenden Ort in Köln zu einer neuen, spannenden Kulturstätte zu machen. Ohne jede finanzielle Hilfe der Stadt renovieren und erschaffen die beiden gerade das „Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste“. So vollmundig haben sie ihr aktuelles Kunstprojekt auf dem Gelände der ehemaligen Deutz AG getauft. Dort, wo Ende des 19. Jahrhunderts die Prototypen des Otto-Motors übers Band liefen, sieht man heute stillgelegte, pittoresk verfallene Industriehallen, zerborstene Scheiben, Graffitis hinter wucherndem Grün. Weiträumig ist es, drei Stockwerke umfasst es, endlose Gangfluchten, alte, holzgetäfelte,
edle Büroräume und Sitzungssäle, in denen die Deckenplatten abfallen, „Wir haben hier sogar Briefpapier aus den 60er-Jahren gefunden“, erzählt Marc Leßle. Der Fahrstuhl ist außer Betrieb, darin soll eine Lichtsäule strahlen. Im dritten Stock ist schon der Probenraum fertig: eine lichtdurchfl utete Halle mit weitem Blick auf Köln. An ihr neues Megaprojekt gekommen sind Kolacek und Leßle, weil im Herbst letzten Jahres, nachdem das Tanzhaus
begraben schien, der Vermieter der Industriebrache auf sie zukam. Zunächst geht es um eine Zwischennutzung, dann sollen hier möglicherweise Wohnungen entstehen. Aber vielleicht ist das „Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste“ dann ja auch schon so etabliert, dass es andere Künstler angezogen hat, das Viertel aufwertet – und sogar erhalten bleibt. Doch das ist Zukunftsmusik. Jetzt wird erstmal gearbeitet. In die halbrunde Fensterfront der Eingangshalle soll eine Bar gebaut werden, in den Innenhof eine Bühne. Und zugleich wird geprobt: Denn das Zentralwerk, das nach Anja Kolacek als „Ideen-Werkstatt, Talent-Schmiede und kreatives Zentrum“ gedacht ist, soll bereits am 18. Juni mit einer Tanz-Premiere eröffnet werden. „Tretet ein, denn auch hier sind Götter“ ist eine Performance über Religion, mit einer neuen Kompanie von Tänzern aus Israel, Kolumbien, den Niederlanden, Italien und Griechenland und natürlich Köln. Eine Art Messe, die über das Gelände führt, in der Rituale vollführt, Exerzitien betrieben, und zum Schluss sogar eine neue Art von Religion gegründet werden soll. Begleitet wird die Performance von der „Polisbox“, kleine Videobildschirme, die die Rechercheinterviews aus dem Stadtraum zeigen. Wie möchtest du sterben? Was noch vorher erledigen? Was bedeutet Freiheit für Dich? So lauten etwa die existentiellen Fragen, die nicht nur Passanten, sondern auch Pfarrern oder Bürgermeistern gestellt wurden und auch auf der Internetseite www.polisbox.de zugänglich werden sollen. „Wir arbeiten an einer Art Web-Theater 2.0: ein Bühnenstück, das im Internet stattfindet, zeitgleich live im Stadtraum erfahrbar ist und sich während dessen weiter schreibt“, sagt Marc Leßle. Das „DZK“ soll übrigens nicht nur dem Tanz offen stehen, sondern bewusst allen Künsten und dem politischen Diskurs. Geplant sind Residenzen, Partyreihen, Workshops, eben ein „Kunstlaboratorium“, das in den Stadtraum eingreift.
Einige Formate, die Kolacek und Leßle planen, kennt man schon aus den drei Monaten Tanzhaus Interim: etwa die Suppenküche, die monatlich Kölner Künstler zum kreativen Gedankenaustausch versammelt, der Choreografen-Wettbewerb für Unter-30-Jährige – und nicht zuletzt die „Alleswastanzt-Nacht“, die seit zwei Jahren einmal jährlich Tanzschaffende versammelt. Wahnsinnig ist das Projekt vor allem deshalb, weil raum13 außer Projektgeldern kaum finanzielle Unterstützung hat. „Zum Glück helfen uns Kontakte, die wir während unserer langjährigen Theaterarbeit aufgebaut haben“, erzählen die beiden. David Heller vom „Kölner Reinigungs-Team“ etwa hat eine Putzkolonne durch die weitläufigen Säle und das riesige Treppenhaus geschickt und die Fensterfront im Foyer gereinigt. Veranstaltungstechnik besitzen die beiden selbst, und Regieassistenten, Interviewer, Ausstatter, Medienkünstler, Musiker, etc. sind teilweise befreundete Künstler, die zum gewachsenen Netzwerk von raum13 gehören. Sie sind ebenso infiziert von der Idee der neuen Kunst-Factory wie Kolacek und Leßle. selbst. Wenn alles fertig ist, müsste sich das Gelände
auch hervorragend vermieten lassen: es ruft in seiner
verlebten Schönheit geradezu nach Parties, Mode-
Shootings oder Drehtagen. Aber vor allem ruft es nach
spannender Kunst.

DOROTHEA MARCUS

ERÖFFNUNG UND PREMIERE VON „TRETET EIN, DENN AUCH HIER SINDGÖTTER“ AM 18. JUNI 2011, DEUTZ-MÜLHEIMER STRASSE 147-149. KARTEN: INFO@RAUM13.COM, 0221-4232185

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