Reallabor 1869
Das Theater wird ein gesellschaftliches Reallabor
§ 1 Die Würde des historischen Ortes ist unantastbar
Auf dem sechs Hektar großen Areal der ersten Gasmotorenfabrik der Welt, dem Otto-&-Langen-Quartier zwischen Köln-Deutz und Köln-Mülheim, wo der Verbrennungsmotor die Dampfmaschine ablöste und dieser Motor bis in die heutige Zeit den Antrieb für eine weltweite Industrialisierung und Mobilität maßgeblich bestimmt, entsteht ein neues Stadtquartier. Im Herzen von Köln steht ein aus ideeller und auch baulicher Sicht potenzielles Weltkulturerbe, ein Zeuge der letzten mehr als 150 Jahre Moderne. An diesem Ort der Innovation ist mit dem Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste ein Freiraum des Denkens und ein gesellschaftlicher Spielraum entstanden, der uns aus der Kraft der Kunst und der Erinnerung für die zukünftigen Gegenwarten inspiriert und als Skizze für das im Prozess befindliche Quartier verstanden werden will. Durch die unbewussten Hinterlassenschaften des Konzerns entsteht eine spannende Reibung, durch die künstlerische Prozesse regelrecht provoziert werden und aus der sich die Zukunft gestalten lässt. Der Gebäudekomplex eignet sich aufgrund seiner historischen und gesellschaftlichen Bedeutung in geradezu einzigartiger Weise als Bühne und Protagonist, um die gesellschaftlichen Entwicklungen und deren Beziehungen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft neu zu entdecken, zu inszenieren und damit auch neu zu verhandeln.
Die Kunst in unserer pluralistischen Wertegemeinschaft muss ihr Verhältnis zur Gesellschaft in Zeiten von aufstrebendem Autokratismus, von Fehlinformationen auf allen Kanälen, der Überforderung von Politik und Verwaltung und nicht zuletzt der bürgerlichen Mitte neu überdenken. Wir müssen an der Auflösung des „autonomen“ Territoriums der Kunst arbeiten. Massenproduktion und -konsum sowie die Massenkommunikation machen die Egozentrik des modernen Künstlerbildes fragwürdig. Die scheinbar wertfreie Kunst ist zu einer Kulisse der bürgerlichen und gehobenen Gesellschaft heruntergekommen und verliert dadurch an Glaubwürdigkeit. Das Theater und die Museen müssen wieder zu den Menschen kommen und nicht wie in der modernen Kleinteiligkeit und Arbeitsteilung Orte im Zentrum der Stadt besetzen. Die Stadt als Kunstwerk und das Urbane als die Begegnung darin zu begreifen, um zu denken, anders zu denken und die Diversität universell zu sehen, das wird die Kunst des 21. Jahrhunderts sein. Das Theater wird zum gesellschaftlichen Reallabor.
§ 2 Der Inhalt bestimmt die Form
Der Gebäudekomplex eignet sich aufgrund seiner historischen und gesellschaftlichen Bedeutung in einzigartiger Weise als Bühne und Protagonist, um vier entscheidende Themen inhaltlich zu bearbeiten:
Mobilität / Klimawandel
Arbeit / Technik
Migration / Begegnung
Demokratie / Beteiligung
§ 3 Alles Handeln dient dem Wohle der zukünftigen Generationen
Das Köln des 21. Jahrhunderts wird stark von der rechtsrheinischen Stadtentwicklung geprägt, von den Stadtteilen Kalk, Deutz und Mülheim, vom Messestandort und von den Konversionen altindustrieller Großstandorte, vor allem entlang des Rheins. Die Entwicklung der Konversionsflächen wird aktuell angetrieben von einer hochdynamischen Immobilienentwicklung privater Investorengruppen.
Die Ergebnisse sind oftmals solche, wie sie derzeit in allen größeren Metropolen letztlich recht uniform entstehen. Die fünf Hektar große ehemalige KHD-Fläche an der Deutz-Mülheimer-Straße ist eines der letzten innenstadtnahen Quartiere, für dessen Entwicklung die Stadt Köln durch städtebauliche und planungsrechtliche Steuerung noch entscheidende Weichen stellen kann. Das Gelände befindet sich im Eigentum der Stadt Köln (1 ha) und des Landes NRW (5 ha). Unsere Initiative rund um die raum13 gGmbH aus angesehenen Künstler:innen, Wissenschaftler.innen, Denkmalpfleger:innen, Architekt:innen, Projektentwickler:innen und Stiftungen möchte hier eine grundlegend andere Entwicklung anstoßen.
In einem Reallabor soll aus dem Bestand dieses bedeutenden industriekulturellen Erbes in Schritten ein ganz anderes Stück Köln entstehen: ein Leuchtturmprojekt zur kreativen Urbanität des 21. Jahrhunderts. Hierfür ist jetzt ein gutes Zeitfenster, in dem, zusammen mit anderen Initiativen, ein neues Bild von Stadt im rechtsrheinischen Köln entstehen könnte.
Ein Quartier
das (Frei-)Raum lässt für einen Kunststandort, an dem auch innovative Ideen des städtischen gemeinschaftlichen Wohnens und Lebens für Künstler:innen, junge Kreative und kreativwirtschaftliche Initiativen, u. a. aus den Kölner Hochschulen, umgesetzt werden;
für Bildungsprozesse ganz unterschiedlicher Art, die, aus der Kunst heraus entwickelt werden und dem historischen Erbe dieses Standorts und zukünftigen Entwicklungen Rechnung tragen;
das in einem partizipativen und gemeinwohlorientierten Prozess eine neue Kultur des Zusammenlebens der unterschiedlichen Kulturen im rechtsrheinischen Köln schafft.
Die Idee hierzu wurde in den transdisziplinären raum13-Zukunftswerkstätten „LAB 1869 Zukunftswerk Stadt“ gemeinsam mit Bürger:innen der Stadt Köln entwickelt und im Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft, Politik und Verwaltung, Architektur und Stadtplanung sowie den partizipierenden Bürgerinnen und Bewohner:innen eines neu entstehenden Quartiers lebendig.
Utopie? Ja, aber eine konkrete Utopie! Wie kann das gelingen?
5 ha des Geländes ging Mitte der 1990er Jahre für 1,3 Mio. DM (oder 650 000 €) in den Grundstücksfond NRW über, der von NRW.Urban verwaltet wird. Lange lag der größte Teil der Immobilie brach. Seit 2011 bespielt die raum13 gGmbH mit dem Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste 10.000 qm der Immobilie. Sie hat einen Gewerbemietvertrag mit einem privaten Eigentümer für die ehemalige Hauptverwaltung. Seit 2021 ist die Stadt Köln Eigentümerin der Immobilie. Mit Unterstützung des Kölner Kulturamtes, der RheinEnergieStiftung Kultur, des Landschaftsverbands Rheinland und vieler anderer wird hier ein hoch produktiver und kreativer Stadtkulturort sehr erfolgreich betrieben (als gemeinnützige GmbH mit einem Jahresumsatz von etwa 150 000 €). Hier ist der Nukleus gewachsen, aus dem die oben skizzierte Idee entstand.
Jetzt steht die Frage an, welchen besonderen Beitrag das Gelände zur Stadtentwicklung des 21. Jahrhunderts in Köln leisten kann. In den Jahren 2013 und 2014 wurde ein städtebauliches Werkstattverfahren („Mülheim Süd“) durchgeführt. Daraus wurden erste städtebauliche Ideen zur grundlegenden Neustrukturierung mit weitgehendem Abriss und Vermarktung von Einzelgrundstücken entwickelt. Das Areal, um das es hier geht, wurde aber noch nicht final überplant und noch nicht abschließend und unwiderruflich planungsrechtlich fixiert. Es gibt also weiterhin Möglichkeiten der Gestaltung.
Aktuell gibt es kommunalpolitische Bestrebungen, dass die Stadt Köln die Grundstücksentwicklung stärker in die eigenen Hände nehmen will (Wahrnehmung des kommunalen Vorkaufsrechts).
Daraus leitet sich folgender Vorschlag ab:
(1) Im Einvernehmen mit der Stadt Köln wird einer Projektinitiative um raum13 gGmbH ein Moratorium gewährt zur Entwicklung des Otto-&-Langen-Quartiers als Leuchtturmprojekt zur kreativen Urbanität des 21. Jahrhunderts, das Gegenbilder entstehen lässt zur überall stattfindenden Produktion von neu gebauter Investoren-Stadt. Dies geschieht in einem Spannungsbogen von industriegeschichtlichem Erbe und perspektivischer Stadtentwicklungsinnovation.
(2) In partizipativen Prozessen wird innerhalb von zwei Jahren eine weitgehend gemeinwohlorientierte inhaltliche Konzeption weiterentwickelt und städtebaulich-planungsrechtlich mit allen Beteiligten und Entscheidungsträgern abgestimmt. Diese bildet dann den Rahmen für eine Anhandgabe des Geländes an die Projektinitiative.
(3) Eine Projektentwicklungsgesellschaft aus den Projektträgern setzt in den folgenden Jahren die Einzelprojekte um, wirbt weitere Partner aus der Zivilgesellschaft und arbeitet mit Kreativwirtschaft, Architekt:innen und Projektentwickler:innen zusammen. Für mögliche Teilprojekte können auch Partner:innen des Landes NRW zur Mitarbeit angesprochen werden. Im Sinne der Idee einer „urbanen Internationalen Bauausstellung des 21. Jahrhunderts“ ist es auch denkbar, die Stadt Köln und verschiedene Ministerien des Landes (Städtebau, Wohnungsbau, Kultur, Wissenschaft/Bildung, Wirtschaft) stärker einzubinden.
(4) Aufgabe der Projektentwicklungsgesellschaft ist es, einen großen kooperativen Quartiersentwicklungspozess in Gang zu setzen, Umnutzungsoptionen für Teilräume zu erarbeiten sowie Schritt für Schritt, wo immer es geht, zu testen und räumlich, wirtschaftlich und vertraglich umzusetzen. Für diese Aufgabe wird zunächst ein zehnjähriger Zeitraum in den Blick genommen, der als gesellschafts- politisches Reallabor verstanden wird.