KAMIKAZE IM KULTURPALAST // Das Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste ist zu einem interdisziplinären Kulturort geworden: Eine Bilanz nach acht Monaten

Dorothea Marcus // akt Theaterzeitung – 01.03.2012

Im letzten Juni wurde es aus der Taufe gehoben, in einem regelrechten Kraftakt: in wenigen Monaten hatten Anja Kolacek und Marc Leßle von „raum13“ aus einer völlig verfallenen Fabrik der Deutz AG, die sie für mehrere Jahre zwischennutzen können, einen inspirierenden Kunstort über drei Stockwerke geschaffen und es vollmundig „Deutzer Zentralwerk der schönen Künste“ getauft. „Wir haben es so genannt, weil wir vor allem eins sein wollten: interdisziplinär. Wir wollen uns nicht länger auf eine Kunstform festlegen, sondern mit Wechselwirkungen zwischen Theater, Bildender Kunst, Musik und Tanz arbeiten“, sagt Anja Kolacek. Wo sich vorher endlose Gangfluchten mit zerborstenen Scheiben, kaputtem Holzmobiliar, herunterhängenden Deckenplatten und Müll aneinanderreihten, kann man heute zwar immer noch den rauen Charme einer heruntergekommenen Fabrik entdecken.

4000 m2, die geradezu danach rufen, künstlerisch genutzt zu werden.

Aber vor allen Dingen gibt es nun: Verwunschene Orte, einen Innenhof, eine dunkle Industriehalle, Bühnen in jeder Größe, die geradezu danach rufen, künstlerisch genutzt zu werden. Es gibt aber auch, dank „raum13“: Eine Bar, eine Küche, ein gigantisches, wunderschönes Treppenhaus, renovierte Probenräume. Und keine Heizung, was jetzt im Winter manche Bewährungsprobe erfordert. „Wir spüren das schon gar nicht mehr“, versichern Marc Leßle und Anja Kolacek tapfer. Das Gebäude ist mittlerweile fast zu schön, um wahr zu sein, gerade durch den unfertigen Charme. Ganze 5000 Euro hatte raum13 von der Stadt bekommen, als „Investitionskostenzuschuss“, alle restlichen Kosten des über 4000 m2 (!) großen Gebäudes, eine Seltenheit in Köln, werden momentan privat von den beiden getragen– und von einigen wenigen Projektmitteln. Die Zukunft sieht etwas rosiger aus, denn immerhin hat dieRheinEnergie Stiftung Kultur für das Jahr 2012 20.000Euro für Werbung und Öffentlichkeitsarbeit bewilligt, und der Landschaftsverband Rheinland 40.000 Euro für die Grundausstattung.

Was im Sommer noch mit dem Schwerpunkt Tanz begann, hat sich mittlerweile längst auch anderen Kunstsparten geöffnet. Soeben fand ein wochenlanges Mini-Theaterfestival hier statt, mit kleinen, aber feinen Theatergastspielen aus Gießen, Wien oder sogar vom Schauspielhaus Hamburg, ermöglicht durch Kontakte von raum13. Ob das nun „Eichmann“ im Flur in der zweiten „Vorstands“-Etage war, oder der Monolog „Hosianna“ in einem holzgetäfelten Raum neben dem Eingang. Die Uraufführung von „Substanzen“, eine skurrile Grenzüberschreitung zwischen Schauspiel und Tanz über den Miss- und Gebrauch von Drogen, wird im weiß verkleideten und abgedunkelten Studio im dritten Stock gezeigt. Die Uraufführung von „Substanzen“ ist eine skurrile Grenzüberschreitung.

„Mittlerweile können wir uns vor Leuten kaum retten, die hier arbeiten wollen“

Wichtig ist Kolacek und Leßle vor allem, hier nicht nur ein Podium für eigene Produktionen zu schaffen, sondern ein großes Netzwerk von Künstlern „wie ein Schneeballsystem“ zu erweitern. Soeben haben sie deshalb ihr Format „Suppenküche“ wieder aufgelegt, eine Idee noch aus der Zeit, als sie das „Tanzhaus Interim“ leiteten. Jeden ersten Sonntag im Monat bei warmer Suppe – die in den Räumen auch bitter nötig ist – treffen sich Künstler zum Austausch über ihre Projekte, vernetzen sich, holen sich Inspiration, tun sich zusammen. „Mittlerweile können wir uns vor Leuten kaum retten, die hier arbeiten wollen“, erzählt Anja Kolacek. Es gibt Koproduktionsanfragen bis hin zum Schauspielhaus Hamburg und eine lange Liste von Projekten, die beim Kulturamt beantragt sind. Der Regisseur Benjamin Schad, der für seine umjubelte Inszenierung „The Turning of The Screw“ an der Kölner Oper gerade den Götz Friedrich Preis erhielt, wird hier den Günter-Eich-Abend „Träume“ gestalten – auch wenn die Gelder dafür zur Zeit auf Eis liegen. „Ich mag die Patina dieses Ortes“, erzählt Schad, „sie passt exakt zu dem Dichter, der jetzt auch schon seit vielen Jahren verschütt gegangen ist. Man kann in diesen Räumen unglaublich viel ausprobieren“. Beantragt sind aber auch Kooperationen mit dem Theaterhaus Jena oder der „Kaderschmiede“ für freie Regisseure,dem Studiengang Angewandte Theaterwissenschaft Gießen, die bekannte Schauspielerin Anne Tismer sollkommen, auch Koproduktionen mit dem Zentrum für aktuelle Musik sind geplant. Raum13 selbst beschäftigen sich künstlerisch gerade mit der historischen Aufarbeitung der Geschichte der Deutz AG, die 1911 noch 30 000 Beschäftigte hatte und 2006 pleite ging.

Der „Alleswastanzt-Stückemarkt“ zeigt die Ergebnisse der „Künstlerresidenzen“

Erstmals haben sie auch so genannte „Künstlerresidenzen“ vergeben. Auch wenn das Wohnen und Schlafen im Deutzer Zentralwerk im Winter eher schwierig erscheint, geben sie unter diesem Motto drei Künstlern technische und kreative Unterstützung bei einem abendfüllenden Projekt– und präsentieren unter dem Namen „Alleswastanzt-Stückemarkt“ im März die Ergebnisse. Darunter etwa ist der junge Folkwang-Absolvent David Pollmann, der in seiner Arbeit Bildende Kunst, Performance, Installation, Video und Tanz verbindet. Seine Arbeit „passing lines“ bewegt sich zwischen Installation und Performance und wird bald auch im Tanzhaus NRW in Düsseldorf ausgestellt: Drahtskulpturen werden durch einen Tänzer bewegt und ergänzen die Bewegungen. Pollmann beschäftigt die Frage: Wie wirkt Kunst auf den Betrachter, wenn sie nicht im Museum ausgestellt wird? Mit der Schauspielerin von Substanzen, Kathrin Wankelmuth, plant Pollmann im Deutzer Zentralwerk auch sein nächstes Projekt „spectators only“: mit einer Kamera kann man sich 12 Minuten lang mit dem eigenen und einem fremden Videobild konfrontieren – eine Art voyeuristischer Meditation. Aber auch zwei Tanzkompanien nutzen die „Residenz“ in Köln: Die Kompanie „mintrotundschwarz“ aus Leipzig erarbeitet mit der hoffnungsvollen jungen israelisch-Kölner Choreografin Reut Shemesh mit „Big Bodies“ einen Abend über die Grenzen unseres Körpers, wo mit einem „Flex-Fit-System“ seine Haltbarkeit getestet wird. In „Shades of Grey“ untersucht das Brachlandensemble, wie empathisch Menschen sind – und fordern den Zuschauer zum „Reak“-Tanz auf.

„Wir haben einfach Lust, für Köln einen interessanten Ort für Kunst zu schaffen”

Die einzigen, zu denen raum13 nach wie vor kaum Kontakt hat, ist ein großer Teil der Tanzszene, jene, die damals auch das von raum13 gestaltete Tanzhaus in einer Fabrikhalle in Mülheim „boykottierten“. Immer noch wird da verächtlich von „Gebrauchtwarenladen“ gemurmelt und von „Selbstverwirklichung“. Anja Kolacek und Marc Leßle zucken, wenn man sie damit konfrontiert, müde mit den Achseln, „Wir haben einfach Lust, für Köln einen interessanten Ort für Kunst zu schaffen, den es so nirgendwo gibt, wir haben keine Zeit, uns mit irgendwelchen Befindlichkeiten zu beschäftigen“. Allerdings hat man das Gefühl, dass sie bewusst wegkommen wollen von dem Image, das Deutzer Zentralwerk sei ein reiner Tanz-Ort und den Schwerpunkt verstärkt auf Kunst, Musik und Theater legen.

Auch als Party-Veranstaltungsort wäre das wundersame Gebäude sicher geeignet, aber Kolacek und Leßle scheuen sich bislang – bis auf vereinzelte Vermietungen an Graphik-Designer oder Filmproduktionen – es außerhalb der Kunst zu nutzen, auch wenn sie das Geld sehr nötig hätten. Was würde das jedoch besser wettmachen als ihre geradezu grenzenlos wirkende Energie.

DOROTHEA MARCUS

TERMINE IM MÄRZ: DEUTZER ZENTRALWERK DER SCHÖNEN KÜNSTE,„SPECTATORS ONLY“, 22. 3., 19:30 ERÖFFNUNG, DAVID POLLMANNAUS ESSEN/MUSEUM FOLKWANG/RAUM13, 22.3. BIG BODIES / COMPAGNIEMINTROTUNDSCHWARZ AUS LEIPZIG / LOFFT LEIPZIG / RAUM13,23. 3., 20:00 UHR SUBSTANZEN, RAUM13, 24. 3., 20 UHR SHADES GREY // URAUFFÜHRUNG VOM BRACHLANDENSEMBLE / RAUM13

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