SUBSTANZEN // RAUM13 ZU STUDI054

AKT // Romy Weimann – 01.02.2012

„Substanzen”, Uraufführung von raum13 im Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste, ist eine stilvolle Untersuchung des Rauschs, die die verheerende Wirkung medial und künstlich erschaffener Ikonen und Ideale auslotet.


Tragisch ist die Geschichte von Odette, dem Schwanenmädchen aus Tschaikowskys „Schwanensee”, das an ihr dunkles Ebenbild nicht nur ihre Liebe, sondern auch sich selbst verliert. Tschaikowskis berühmte Melodie klingelt aus einer kindlichen Primaballerina-Spieluhr auf dem weißkahlen Bühnenboden. Außerdem sind eine Trommel, zwei silberne Taschen, ein Eisbärenfellteppich und eine Kleiderstange mit Tutus und Glitzerklamotten in den Raum gestreut. Hinter einer Glasfront toben sich die Darsteller Kathrin Wankelmuth und Florian Lenz aus wie in einem übergroßen Kinderzimmer: Probieren Kleider und Perücken an, hüpfen zu Musik von Zweiraumwohnung und lachen über Sätze wie: Werd endlich mal erwachsen! Doch entpuppt sich die kindliche Leichtigkeit bald als überdosierter Rauschzustand. Lasziv räkeln und schminken sie sich vor einer Kamera, deren Bilder mal live, mal irritierend voraufgezeichnet auf eine große Leinwand projiziert werden. Das ergibt spannende Momente. Nach einer Stunde bunten Treibens stellt man fest: Unterhaltsam! Aber was nun? Und da passiert es: Die Gestylten treten Sekt schlürfend und besoffen hinter der Glasscheibe hervor. Arrogant poltrig entschuldigen sie sich für die Verspätung, aber schließlich stünden sie über der Zeit. Ständiger Begleiter ist das Mikrofon, das schon zuvor jedes Geräusch auch für den Zuschauerraum hörbar machte, es duplizierte und nachhallte. Doch nicht nur die kluge Verwendung der entfremdenden Medien macht deutlich, worum es bei „Substanzen” geht: Nicht allein um halluzinogene Drogen, sondern vor allem um Künstlichkeit. Da wird der Rotkäppchen-Sekt zu Champagner, Marlboros zu dekadenten Sobranie-Zigaretten und Menschen zu „Dekopuppen”. Dass hier mehr Schein als Sein Bestand hat, wird den Ausgenüchterten schmerzlich bewusst, als sie auf dem Boden krabbelnd nach sich selbst suchen und panisch feststellen: „Ich bin ja gar nicht!”
Nach der Pause zeigen die Schauspieler zu Joy Division, Violent Femmes und The Velvet Underground ihre professionelle Tänzervergangenheit. Extatisch wild, fast in Trance werfen sie mit ihren Gliedmaßen um sich, verbiegen und wälzen sich auf dem Boden, geben sich mit Märchen-Zitaten dem Realitätsverlust hin – die Schwelle zur unglücklichen Vereinsamung ist nicht weit. Immer wieder begleitet das Schwanenlied die derangierte Ballerina, die im wahrsten Sinne Kopf steht und immer wieder ineinander fällt. Zwischen Liebeswillen und rauschhafter Leidenschaft sind die beiden Darsteller Kunstfiguren, Hüllen ohne Inhalt. Die Inszenierung von Anja Kolacek und Marc Leßle beackert hier zwar ein oft bemühtes Themenfeld, wird aber nicht zu plakativ. Ohne viele Worte, bildhaft und bewegt verkörpern die charismatischen Darsteller junge Menschen, die dem Leistungsdruck erliegen und sich in Fantasiewelten flüchten. Wenn Lenz dann einlädt: „Komm mit nach Alice. Ich bringe uns ins Wunderland”,möchte man selber mit.

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