TRÄUME // Als die Welt noch im Trümmern lag

Von Thomas Linden // Kölner Rundschau Kultur // 30. Juni 2012

Im Dunkeln: Benjamin Schad inszeniert Günter Eichs „Träume“

Die Industriebrache der ehemaligen Klöcknerwerke ist ein Kunstort, geworden, seit Anja Kolacek und Marc Leßle sie in das Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste umfir­miert haben. Jetzt holten sie Benjamin Schad, der in der letzten Spielzeit. den Regie­ Preis der Götz-Friedrich-Stif­tung für seine Inszenierung von Benjamin Brittens Oper „The Turn of the Screw” ge­wann. Damals inszenierte er die Oper in der Trinitatiskir­che, nun zeigt er Günter Eichs Hörspieltexte „Träume – Alles was geschieht geht dich an” im dunklen Herzen der verlasse­nen Deutzer Industriewelt.

Durch ein Seitentor geht es hinein und dann kommen aus der Ferne der Halle fünf junge Leute angerannt. Die drei Frauen (Stefanie Phillips. Anne Sauvageot, Leoni Schulz) und zwei Männer (Dominik Breuer, Serkan Temel) sprechen Texte, die Eich 1953 schrieb, als die Trümmer noch nicht ganz fort­geräumt waren.

Kaum haben sie mit den ers­ten Dialogen begonnen, geht das Licht aus. Ein großer Teil des Abends ereignet sich im Dunkel. Schad versetzt sein Publikum in eine Hörspielsitu­ation. In der Dunkelheit gewin­nen die Worte ein anderes Ge­wicht, sie klingen nach und vor allem wird der Abgrund zwi­schen ihnen hörbar.

In der Dunkelheit liegen, nicht schlafen können, an die Eisenbahnwaggons zu denken, in denen man einmal einge­sperrt war. Oder die Familie, die in einem Verlies lebt und sich von einem Draußen er­zählt, das so lange zurück liegt, dass schon Zweifel aufkom­men, ob es überhaupt existier­te. Der Traum vom Glück, er scheint nicht mehr möglich, weil sich die Ereignisse der Jahre zuvor nicht einfach ab­streifen lassen. Ohne dass der Krieg erwähnt würde, ist er in der Dunkelheit präsent.

Welche Klarheit die Dialoge von Eich doch enthalten, wie sie Konkretes mit einem Zug zur Abstraktion verbinden. Benjamin Schad bringt dieses Potenzial mit seinen vorzüg­lich sprechenden Darstellern und seiner puristischen Insze­nierung ans Ohr, ins Bewusst­sein. Ein Kind wird von seinen Eltern verkauft. Ein Plan, dem es zaghaft zu entgehen sucht. Gespielt wird die Szene von Er­wachsenen und auf faszinie­renden Weise funktionieren Verfremdung, Realismus und eine Art absurder Komik. Stets sind die Szenen in familiärem Milieu angesiedelt und stets kommt eine Gnadenlosigkeit zum Ausdruck, die in ihrer Schlichtheit zeigt. Es gibt keine Heimat mehr, es existiert kein Ort, an dem man sich aufgeho­ben fühlen könnte.

Die Inszenierung sucht nicht die vorschnelle Aktuali­sierung, gerade deshalb steigt die Ahnung auf, dass Europa wieder vor einer Katastrophe stehen könnte, die alle Werte in Frage stellt. Ein starkes Erleb­nis, in diesem Industriekorri­dor zu sitzen und zu erleben, wie jemand eine innere Welt aus Trümmern beschreibt.

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