SCHÖNHEIT DER VERGÄNGLICHKEIT#2_KriegsBlicke

Theatrales Rockkonzert mit Musik, Tanz und Bewegung zum Wahnsinn des industriellen Krieges von Michael Cramer »Eine packende Antikriegs-Collage in originaler Zeitzeugen-Umgebung«. – 24.06.2013

Von der Trilogie Schönheit der Vergänglichkeit über die Zeit von der Gründung der Firma Klöckner Humboldt Deutz bis in die Jetztzeit ist Anja Kolarcek und Marc Leßle, den rührigen Theatermachern von Raum13 mit dem Mittelteil KriegsBlicke ein weiterer eindrucksvoller Wurf gelungen. Eine Collage der letzten 100 Jahre, beginnend mit dem 1. Weltkrieg, mit seiner auf Grund der technischen Entwicklung immensen Dimension, der Begeisterung über den aufkommenden Nationalsozialismus und den Krieg, den erschütternden Schrecken in den Schützengräben, dem Heute mit der Bundeswehr in Afghanistan, den psychischen Folgen bei den Soldaten und ihren Angehörigen – ein düsteres Szenario mit Gänsehaut-Effekt.

Perfekter Spielort ist wieder die lange Halle in der KHD-Industriebrache – die Zuschauer sitzen längs an der Wand – neben der ehemaligen Gießerei, zu der sich eine eiserne Schiebetür immer mal wieder öffnet und zum Schluss wieder schließt; nur als bloßer Ersatz für ein Vorhang oder als Blick in eine andere, vergangene Welt, eisern abgeschottet, die uns nicht mehr berührt? Aber immerhin wird versucht sie einzuschlagen; physisch durch Hämmern und mental als Schreibtafel „Gewalt ist das Mittel, der Wille der Zweck, aber über allem steht die Verteidigung.“ Stimmung kommt auf mit Aufbruchstimmungstexten, mit Zitaten von Christa Wolf, Ernst Jünger, Erich Maria Remarque und den Zeitzeugenberichten von Rudolf Helmich.

Denn: Krieg ist Akt der Gewalt, um dem wehrlosen Feind den eigenen Willen aufzuzwingen. Aber: Verteidigung ist kräfteschonend. Besser den Stoß des Gegners abzuwarten und dann zu reagieren. Daher: Verteidigung ist der beste Angriff.

Davon ist anfangs nicht viel zu spüren; Nikolaus Benda vom Schauspiel Köln hämmert Steine zu Staub und Asche, Anne Düe schafft mit einer Flex einen Funkenregen, und Florian Lenz zersägt Eisenketten – der Mensch als kriegerischer Zerstörer. Dazu die eigens für das Stück komponierte, stark rhythmische Musik von FM Einheit zusammen mit gebrüllten Kriegsparolen. Das ändert sich mit die NS-Größen persiflierenden Ansprachen in Dada-Manier, der Redner steht kurz vor dem Zusammenbruch, das Volk applaudiert und tanzt bis zur Erschöpfung. Mit der NS-Zeit kommt die Zufriedenheit über neue Arbeitsplätze, über die positive Entwicklung bei den Bauern und über die höhere Bildung auch für Kinder ärmerer Schichten. Und: einen Krieg wie 1914 wird es ohnehin nicht geben; und außerdem haben wir die Polen immer als schlechte Menschen angesehen. So Lenz als Zeitzeuge. Der Krieg, der die Massen berauscht; Fahnenschwinger und große Aufmärsche.

Aber es dreht sich schnell herum: Die Schilderung über die Gräuel in den Schützengräben geht tief unter die Haut, der extremen Darstellung über einen feindlichen Angriff folgt fast nahtlos der Übergang zum Krieg in Afghanistan. Man hört den Bericht eines begeisterten Soldaten und den Stolz seiner Freundin über seinen „Beruf“; dazu Stimmen aus aktuellen Ansprachen zum Krieg in Afghanistan, wo „Gerechtigkeit getan wird: Justice will be done“. Aber auch: „In Hemis ist kein Haus mehr heil“. Und: „Der Krieg ist Höhepunkt des Soldatenlebens. Obwohl dieser Krieg nur eine Beschäftigungstherapie für die Taliban ist, die sonst die Bevölkerung wieder auf ihre Seite ziehen würden.“ Jedoch ist der Soldat nach dem Krieg völlig leer im Kopf, nur noch eine dumpfe Hülle, wie Benda eindrucksvoll vorspielt.

Die Globalisierung existierte damals wie heute: Mobilisierung durch Autos, Eisenbahnen, durch wirtschaftliche Verflechtungen. Sind wir in einer ähnlichen Situation wie 1913? Die Autoren werfen die Frage auf, ob wir nicht in einem europäischen Vorkrieg leben; großflächige Auseinandersetzungen wird es nicht mehr geben, aber stattdessen viele partiell kleine Kriege, um eine Ideologie nach außen zu tragen und einen Veränderungswillen zu demonstrieren. Wenn auch Afghanistan sehr weit weg ist.

Diesem Teil der Trilogie fehlt – im Gegensatz zum schon aufgeführten Teil 3 – ein wenig die historische Beziehung zum Spielort, da bei Klöckner Humboldt Deutz keine nennenswerten kriegswichtigen Produkte hergestellt wurden. Aber als Wiege der industriellen Revolution und im historischen Kontext ist dieses klassische Antikriegsstück schon richtig an diesem Ort, denn die beiden Weltkriege waren genauso wirtschaftlich und industriell motiviert wie spätere Auseinandersetzungen.

Die Frage bleibt: Ist das Spektakel ein Traum, eine Vision, Realität, eine Warnung für unsere jungen Menschen oder nur eine spannende Rückblende für die Älteren? Können wir den Krieg vermeiden, indem wir sensibel auf „Vorkriegs-Symptome“ achten? Nutzen uns die Bundeswehr-Einsätze im Ausland wirklich?

2014 wird es den ersten Teil der Trilogie geben, die Zeit von 1869 bis 1913 mit der Erfindung von Strom und Motoren und der Mobilität des Menschen. Man darf gespannt sein.

Der Teil 3 mit einem spannenden Gang durch das Gebäude und Zeitzeugen an alten Motoren (lesen Sie mehr darüber hier) gibt es am 28. Juni, zwei Tage später Teil 3 und 2 hintereinander. Details hier.

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