EICHMANN

Harter NS-Tobak über ein Monster, faszinierend gespielt

Theater-Pur // von Michael Cramer – 06.10.13

Der Weg eines ehrgeizigen Überzeugungstäters

von Michael Cramer

Das Kölner EL-DE-Haus hinter dem Stadtmuseum, Anfang der 30er als Wohn- und Geschäftshaus des Schmuckhändlers Ludwig Dahmen geplant, wurde noch als Rohbau 1935 von der Gestapo beschlagnahmt und als Dienststelle mit mehreren Haftzellen umgebaut. Seit 1986 dient es als viel besuchtes NS-Dokumentationszentrum; derzeit ist die Sonderausstellung „Der Prozess“ anlässlich des Eichmann-Verfahrens vor 50 Jahren in Jerusalem zu sehen.

Das Kölner Theater RAUM13, angesiedelt in den ehemaligen Fabrikhallen von KHD und hier schon mehrfach besprochen, hatte 2007 mit diesem Stück, Heinrich Baumgärtner vom Schauspiel Köln als Eichmann und in diesem Hause das Theaterlicht der Welt erblickt, eingerichtet von den beiden Chefs Anja Kolacek und Marc Leßle. Dort wie auch später im eigenen Hause war das Stück immer mal wieder gespielt worden. Anlässlich der Ausstellung lag es nahe, das Täterstück um den „Mythos Eichmann“ in diesem Ort des Schreckens erneut aufzuführen.

Zu erleben ist eine Collage aus Interviews des 1962 hingerichteten Eichmann – das überhaupt einzige Todesurteil in Israel – die er am Fluchtort Argentinien seinem Vertrauten und ehemaligen SS-Mann und Kriegsberichterstatter Willem Sassen gegeben hatte. Den veröffentlichten Verhörprotokollen des Prozesses werden auch Texte aus seinen handschriftlichen Erinnerungen gegenübergestellt; eine akustische Veröffentlichung der vielen Tonbänder, die im Bundesarchiv Koblenz lagern, lehnen Eichmanns Erben bislang ab.

Der Ort ist schon schrecklich genug: alles ist noch im Originalzustand, im Keller sind die Zellen mit den Wandkritzeleien der oft lange einsitzenden Häftlinge zu besichtigen, Wände und Vitrinen sind auf dem Wege zum Theaterraum voll anklagender Fotografien und Lebensläufe. Eine schaurige Einstimmung auf die folgenden anderthalb Stunden mit dem Berliner Schauspieler Florian Lenz, den es regelmäßig in seine rheinische Heimat und ins Theater RAUM13 zieht.

Lenz schlendert lässig und mit Bierflasche zu einem Ledersofa, auf dem er sich fläzt, öffnet mal das Fenster, wandert umher. Ganz nett und harmlos, der Typ – wie es scheint. Aber die Texte dann, zum Teil vom Band und mit Marschmusik hinterlegt, lassen das Blut gefrieren. Lenz schildert seinen Weg zum ehrgeizigen Überzeugungstäter und fanatischen Judenhasser, der die eigene Rasse retten musste. Er versucht sich als bloßen Befehlsempfänger darzustellen, Teile seiner Prozess-Verteidigung kommen hoch: „Ich saß am Schreibtisch, machte meine Sachen“. Aber dann ließ er auch die Wahrheit raus „Ich war kein normaler Befehlsempfänger, dann wäre ich ein Trottel gewesen, sondern ich habe mitgedacht, ich war ein Idealist gewesen“. Ein Buchhalter des Todes, wie man ihn nannte, ein übereifriger, fanatischer Bürokrat, der stolz auf „seine“ Millionen Tote war.

Bei allem Grauen über diesen Menschen kommt es aber auch in den Sinn, ob nicht in jedem von uns ein kleiner „Eichmann“ schlummern könnte. Zeigen aktuelle Untersuchungen doch, dass heutige Massenmorde oft von ganz normalen Menschen verübt werden, die sich unbemerkt entwickeln. Beim Kontakt mit den Aktenbergen, die seine aktive Mitwirkung und Schuld belegen, bricht seine Chamäleonartigkeit auseinander, er zertrampelt die Zettelberge, sein ideologisches Gebäude stürzt ein, aus einem Nebenraum schreit er sein Seelenleben und seine Verteidigung hinaus. Keine Einsicht in die Abartigkeit seines Handelns.

Florian Lenz schafft es in dem langen anstrengenden Monolog, die vielschichtigen Facetten und die schaurige Persönlichkeit von Eichmann unter die Haut gehen zu lassen; er schwadroniert, säuselt, flirtet, sinniert, brüllt, berichtet sachlich, lobt sich. Und reagiert auch perfekt auf ungeplante Einwände und Fragen von Zuschauern. Großes Theater mit einem jungen Schauspieler in geschichtlichem Gemäuer. Langer Applaus nach langem Schweigen.

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