raum13 DEUTZER ZENTRALWERK DER SCHÖNEN KÜNSTE – Führung

Verfall und Wandel am Ort für die Ewigkeit – Die Macher des Kunstprojekts „Raum 13“ bieten Führungen für alle Sinne an

KASTA // von: Ingo Hinz – 16.06.2016

„Die Kunst der Revolution“ prangt als Schriftzug in riesigen Buchstaben über dem Innenhof des ehemaligen Verwaltungsgebäudes von Klöckner-Humboldt-Deutz. Was auf dem gewaltigen, brachliegenden Industriekomplex auf der Grenze zwischen Mülheim und Deutz stattfindet, gleicht tatsächlich einer Revolution: Weniger in der Deutung eines radikalen Umbruchs als vielmehr in Form einer Transformation – angestoßen durch Leerstand und Verfall. Wo bis zum Niedergang des zuvor weltweit tätigen Unternehmens Lieferfahrzeuge Laderampe und Schmiede anfuhren, plätschert Wasser von der Decke in einen kleinen künstlichen See. Dazu tönen knarzende Beats aus Lautsprechern, die irgendwo im Zwielicht der riesigen Halle installiert worden sind. Über allem liegt der schwere Geruch nach Öl, die Atmosphäre hat etwas Beklemmendes – es ist schwer zu erahnen, wie dieser Ort vor noch nicht allzu langer Zeit von Maschinenlärm und menschlicher Betriebsamkeit geprägt gewesen ist.

Anja Kolacek und Marc Leßle bieten Führungen durch das „Zentralwerk der Schönen Künste“ an. Das Paar erläutert den Entstehungsprozess ihres Projekts „Raum 13“. Vor allem geht es ihnen während des Rundgangs aber darum, die Ausstrahlung des geschichtsträchtigen Ortes und die dort installierte Kunst wirken zu lassen. Matratzen im Kellergeschoss „Wir wollen hier den Wandel und die Veränderung veranschaulichen und dokumentieren“, sagt Kolacek. Dazu gehört auch die Natur, die überall zu versuchen scheint, das Bauwerk in Besitz zu nehmen. Ein alter Mercedes-Kombi und ein kleiner Zeppelin stehen für die Entwicklungsstufen des technischen Fortschritts, der den Deutzer Motoren-Produzenten lange ihren Erfolg bescherte. „Das alles hier ist in dem festen Glauben entstanden, dass es für die Ewigkeit errichtet wird“, so Kolacek. „Niemand hat sich vorstellen können, dass hier alles den Bach runtergeht – weder die Verantwortlichen noch die Arbeiter.“

Das riesige Verwaltungsgebäude ist auch Kulisse, um über gesellschaftlichen Wandel nachzudenken. In den langgestreckten Kellerräumen mit niedrigen Decken im Untergeschoss des Haupthauses zwischen ehemaligen, von Metalldieben zerstörten Rohren und Leitungen sowie den ehemaligen Gruppenduschräumen liegt eine Reihe Bettmatratzen mit Decken und Kissen. „So wie die häufig eingewanderten Arbeiter hier mit lagerähnlichen Zuständen zurechtkommen mussten, drängte sich uns der Vergleich zu Flüchtlingsunterkünften auf, in denen heute zahlreiche Menschen in Notihr Dasein fristen“, so Leßle. Bildende Kunst mit Personalakten Auch vornehmere Bereiche sind Teil des Rundgangs. In der Vorstandsetage im Obergeschoss stehen noch massive Holzsessel an meterlangen Konferenztischen – den Teppichboden haben Leßle und Kolacek mühsam gesäubert, die Spuren der Zerstörung beseitigt. Bilder von ausgelassenen, jungen Karrieremeschen in Maßanzügen haben die beiden in den ausladenden Vorstandszimmern aufgestellt – ein Hauch von Dekadenz weht durch den langen Flur. In einem Büro haben die Künstler vergessene Aktenberge zu einem erschreckenden Kunstobjekt arrangiert. Mit dem Datenschutz haben es die KHD-Verantwortlichen bei ihrem Auszug aus der alten Zentrale an der Deutz-Mülheimer Straße offensichtlich nicht so genau genommen. Hier liegen Bescheinigungen über die NS-Vergangenheit von Mitarbeitern oder Zeugnisse von Lehrlingen. Andere Installationen nehmen sich dezent zurück, wirken eher unterschwellig auf den Betrachter. So sammelt man während des etwa zweistündigen Rundgangs zahlreiche, ganz unterschiedliche Impressionen. Hinterher hat man eine regelrechte Flut von Sinneseindrücken und Emotionen zu verdauen. Die Künstler beenden die Tour nicht abrupt, sie lassen jedem Zeit, sich auch allein umzusehen. Wer will, trinkt anschließend ein Glas Wein, und tauscht sich mit anderen oder den Künstlern aus über einen außerordentlich beeindruckenden Besuch an einem besonderen Ort der Kölner Industrie- und Stadtgeschichte.

Newsletter abonnieren

Dies schließt sich in 0Sekunden