Badische Zeitung – 25.03.14
Eigentlich eine unzeitgemäße Veranstaltung: Während die christliche Welt den Blick auf die Krippe in Bethlehem richtet, den Ursprung des Neuen Testaments, setzt sich Marc Günther im Freiburger Theater im Marienbad die Kippa auf und beginnt, aus dem Alten Testament zu lesen. Genauer gesagt rezitiert der freie Regisseur ein Stück aus der eigenen Feder, geschrieben für Erzähler und Chor, uraufgeführt 2010 in Südtirol. Der Autor nennt es eine Art Collage, für die er Bibeltexte zueinander stellte, zusammenfasste, kommentierte – sprachlich dennoch aus einem Guss. Ein Parforceritt durch das Alte Testament.
Alles ist weiß, die Bänke weiß verhüllt, die Auslassungen in den Wänden weiß bespannt, und über der kleinen Hörergemeinde wölbt sich milchig die Hallenkuppel des ehemaligen Schwimmbads. Mit weicher, einnehmender Stimme, Chor und Erzähler in einer Person, hebt Marc Günther an – die Poesie der Schöpfung herauf beschwörend: “Eine Wölbung mitten in den Wassern, eine Scheidung zwischen den Wassern und den Wassern. Die Wölbung Himmel. Und Abend, und Morgen: ein zweiter Tag.”
Doch das Lichtbild im Hintergrund spricht eine andere Sprache: Maschendraht auf den Golanhöhen, daran befestigt ein gelbes Warnschild mit der Aufschrift “Danger Mines!” Den Frieden, den Gottes Schöpfung verspricht, hält schon das Alte Testament nicht. Die biblischen Geschichten dieses Abends sind eine Aneinanderreihung von Grausamkeiten, unbarmherzigen Gesetzen, Bestrafungen, blutigen Racheakten. Günther, ehemals Intendant in Graz und Köln, der zuletzt für das Marienbad “Kabale und Liebe” inszenierte, erzählt sie ungerührt und frei von Pathos. Ein leichtes Heben der Stimme, ein kleines Zurechtrücken der Brille, ein Häme verratendes Lächeln wirken umso eindrücklicher.
Es ist eines der ältesten Dokumente der Menschheit und eines der widersprüchlisten zudem, das Liebe predigt und immer wieder Hass sät. Alle drei monotheistischen Religionen berufen sich auf das Alte Testament. Abrahams Kinder sind verfeindet wie eh und je. Nach wie vor wird die Bibel als Legitimation für politisches Handeln herangezogen. Ein Ausspruch des israelischen Ministerpräsidenten Netanyahu dient als Klammer des Abends: “Das jüdische Volk hat vor 3000 Jahren in Jerusalem gebaut, und das jüdische Volk baut heute in Jerusalem.”
Keineswegs anachronistisch, sondern brandaktuell erscheinen diese Texte voller Weisheit und Wahnsinn, geeignet für “gegensätzlichste Lesarten von Verdammung und Gnade”. Wörtlich, ohne ihren geschichtlichen Hintergrund verstanden, sind sie Futter für die Fundamentalisten in aller Welt. Ein Grund mehr, sie immer wieder zu lesen. Oder besser noch, vorgetragen zu bekommen von einem, der die “abenteuerlichen Landschaften des Alten Testaments” durchmessen hat, immer auf der Suche, wie er selbst sagt, “nach dem erhellenden Licht. Vielleicht!”