Inszenierung des Monats: „Träume“ von Günter Eich in der Regie von Benjamin Schad überzeugt durch Schlichtheit und Sprachkunst
AKT Theaterzeitung / 09.12. / / Dorothea Marcus – 01.09.12
STILLE WARNUNG
Inszenierung des Monats : „Träume“ von Günter Eich in der Regie von Benjamin Schad überzeugt durch Schlichtheit und Sprachkunst
Dieses Gebäude hat so viele Räume und Eingänge, dass man jedes Mal einen anderen betreten könnte. Diesmal geht es in der Riesenfabrik der ehemaligen Deutz AG durch einen Seiteneingang in den dunklen, schachtartigen Saal. Innen ist eine Fläche aus Europaletten aufgebaut, Steine liegen davor. Man könnte sich kaum einen Ort vorstellen, der besser zu Günter Eichs Hörspiel passt, das noch unter dem Eindruck des Krieges geschrieben ist und eine Welt in Trümmern beschreibt, die leer von Werten, Sicherheiten, Gewissheiten ist. Während das Hörspiel 1951 zum ersten Mal lief, riefen empörte Hörer an und forderten, die Ausstrahlung zu beenden. Der Text geht an die Nieren. In fünf „Träumen“ und der kräftigen Sprache von Eich wird das Äußerste an Einsamkeit und Entsetzen beschrieben.
Von ganz weit her rennen die Darsteller im „Deutzer Zentralwerkder Schönen Künste“ auf die Sitzreihen zu. Dann geht das Licht aus, und wir hören nur: rhythmisches Keuchen und Atmen. Viel später erst beginnen sie langsam und wohl artikuliert den Text zu sprechen.
Im ersten Traum sitzen „Uralte“ in einem Güterwaggon ohne Fenster, mit ihnen Familie, die niemals das Licht gesehen haben. Als plötzlich doch ein Schimmer sichtbar wird, beschließen sie, das Loch zu verschließen- und der Zug donnert immer schneller weiter. In der völligen Dunkelheit kann man sich auf einmal ganz anders auf den Text konzentrieren. Es hat etwas von einem existentiellen Hörspiel, dem man völlig ausgeliefert ist – wie die Insassen des Waggons, der auch KZ-Transporte und absolute Ausweglosigkeit assoziiert. Die kargen Worte fallen wie Steine in Abgründe. Der Opernregisseur Benjamin Schad, der gerade den Regiepreis der Götz-Friedrich-Stiftung für die umjubelte Inszenierung von Benjamin Brittens „The Turning of The Screw“ erhielt und auch im Oktober wieder an der Oper Köln inszeniert, arbeitet an diesem Abend ganz ohne Musiker und doch zutiefst musikalisch. Das Reiben der Steine, ein Schleifen der Füße auf dem Boden, Atmen: behutsame Geräusch-Illustrierung begleitet die Sequenzen.
Beim zweiten Traum, dem mit Abstand entsetzlichsten, geht das Licht wieder an. Ruhig stehen die fünf Darsteller (Dominik Breuer, Stefanie Philipps. Anne Sauvageot, Leoni Schulz, Serkan Temel) nebeneinander, sprechen (mit hoher Kunst) kühl und distanziert die Rollen: die Eltern, die das genetische Material ihres Kindes anpreisen, weil sie es verkaufen wollen. Das Kind, das zaghaft und angstvoll bei den Eltern bleiben will. Die Frau, die lauernd das Kind in die Küche lockt, wo es getötet werden soll. Ihr kranker Mann, der das Kind haben will. Der Tod des Kindes ist nur ein Seufzer, die abgetretenen Eltern schließen einfach die Augen, der Gang durch die Wohnung wird nur mit einer Augenbewegung angedeutet. Die stete Bedrohlichkeit unter den Worten entwickelt gerade so eine Wucht, weil die Schauspieler sie nicht nach-illustrieren, sondern die Figuren und Geschehnisse mit minimalen Bewegungen andeuten – und sie dennoch mit bewundernswerter Präsenz füllen.
Eich, jener zu Unrecht fast vergessene Dichter, hätte an diesem Abend wohl seine Freude gefunden. Atemlos verfolgt man einen Alptraum nach dem anderen. Die Verfolgten, die auch bei früheren Freunden keine Aufnahme mehr finden. Das Haus der glücklichen Kleinfamilie, das von Termiten zerfressen schließlich in sich zusammenfällt. Die ganze Zeit liegt ein Scharren, hergestellt von Kieseln unter Füßen, über der Szene. Was für ein treffendes Bild für eine Gesellschaft, die sich bequem eingerichtet hat auf der Basis hohler Grundmauern. „Alles, was geschieht, geht dich an“ – diese Worte von Eich liegen wie ein Leitmotiv und eine Warnung über diesem stillen, schockierenden, puristischen Abend.