SCHÖNHEIT DER VERGÄNGLICHKEIT #3-Bildersturm, ein bilderstarker Rundgang durch die spektakulären Hallen der ehemaligen Deutz AG

AKT – Die Theaterzeitung I Oktober I Dorothea Marcus – 01.09.12

Im Foyer sprießen Moospflanzen. Ein treffenderes Symbol für “Schönheit der Vergänglichkeit” hätte sich raum13 (Anja Kolacek, Marc Leßle) kaum ausdenken können. Sie haben sie aus der düsteren Industriehalle geholt, wo einst Otto-Motoren gefertigt wurden. Dass Verfall einen nostalgisch-melancholischen Reiz entfalten kann, ist Grundthema der Uraufführung von raum13 in den spektakulären Hallen, die sie seit über einem Jahr mit Theater, Tanz und Kunst bespielen. Zu welchem Genre dieser Abend tendiert, ist nicht zu bestimmen, aber warum auch. Vor allem ist es ein Rundgang, zu dem wir von kleinen Jungs mit großen Schuhen aufgefordert werden, ein Schwarzweißfoto erzählt, wie der Innenhof aussah auf dem Höhepunkt des 1865 gegründeten Weltimperiums Deutz AG.

Im schwarzen Herzen der rund 20 Meter hohen Halle liegt ein Häuflein Mensch auf alten Reifenresten. Es ist Hauptdarsteller Florian Lenz, der zunächst – das Grundgesetz zitiert. Und Parolen der Französischen Revolution. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Doch im Kapitalismus kann Freiheit schon mal mit Brüderlichkeit kollidieren. Im Innenhof qualmen und röhren alte Otto-Motoren wie störrische Relikte aus glorreicher Vergangenheit, liebevoll in Gang gesetzt von FM Einheit (“Einstürzende Neubauten”) persönlich, der auch die grandiose – und infernalisch laute – Maschinenmusik des Abends komponiert hat. Weiter geht’s, Lenz spielt sich die Seele aus dem Leib. Im holzgetäfelten Nebenraum verwandelt er sich in Zeitzeugen, die hier gearbeitet haben. Zahlreich sind sie auch im Publikum vertreten und gerne bereit, Rede und Antwort zu stehen. Lenz fällt in tiefstes Kölsch, beugt sich tief zu uns, erzählt von Festen, Sorge, Solidarität – welch Zusammenhalt hat hier einst geherrscht. Krächzend singen wir “Aber der Wagen, der rollt” mit, als gehörten wir selbst dazu.

 Am beeindruckensten aber ist der kleine Maximilian Märtierer, der Erinnerungen von Herrn Voß spricht. Und dann geht’s in die “Vorstandsetage”, ein Gang voller Räume mit Videoinstallationen, die den Charme der Industrieromantik feiern – und das Schauspieltalent Florian Lenz, der in Großaufnahme Techno tanzt oder Treppen springt – und wie ein faunhafter Weltenwanderer in natura erscheint und verschwindet. Wir stolpern durch Räume mit dekorativen Original-Papierbergen und landen schließlich oben im weißen Salon, wo ein riesiges Taufbecken in der Mitte leuchtet und die Kapitalismus kritiksich verschärft. Wie degeneriert sind wir, dass wir uns für gottähnlich halten, mit einem Jeep vermeintliche “Freiheit” erkaufen. Doch die Gutmenschen-Appelle verhallen etwas zu wohlfeil im Raum. Interessanter wäre gewesen, die wahren Gründe für den Niedergang der Firma zu erfahren, in deren grandioser Hülle wir uns bewegen. Dieser Abend ist die Feier eines Ortes als Kunstwerk – und als solche wunderbar. Der theatralische Mehrwert ist eher begrenzt.

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