EICHMANN UND PORNO

Wo früher in der Deutz AG Motoren gebaut wurden, treffen sich heute unter der Regie von raum13 Künstler verschiedener Richtungen. Zur Zeit findet im für zwei Monate ein spannender Theaterschwerpunkt statt. // So schreit und weint er – 01.01.2012

EICHMANN UND PORNO

Wo früher in der Deutz AG Motoren gebaut wurden, treffen sich heute unter der Regie von raum13 Künstler verschiedener Richtungen. Zur Zeit findet im „Deutzer Zentralwerk der schönen Künste” für zwei Monate ein spannender Theaterschwerpunkt statt.
Kalt wie die Luft im leeren Bürotrakt der Deutz AG ist die Atmosphäre. Im langen Flur ist neben Gasöfen, die flackernd etwas Wärme abgeben, das grelle Neonlicht des Treppenhauses einzige Lichtquelle. Ein offener Teil des Korridors ist die Bühne, schon aus der Ferne dröhnen Boxen. Zu hören sind Tonbänder vom Eichmann-Prozess 1961. Regisseurin Anja Kolacek lotet in ihrem Stück „Eichmann” vor der beklemmenden Kulisse alter Büroräume die Möglichkeiten aus, sich dem Schreibtischtäter und „Manager des Todes” Eichmann zu nähern. Zwei Details machen diese Auseinandersetzung besonders spannend: Zum einen sind Quellen Grundlage für den Theatertext. Das Springen zwischen Eichmann-Verhören 1960 in israelischer Haft, Interviews und seinen Memoiren offenbart vor allem eines: Eichmann, der für die Deportation von mehr als fünf Millionen Juden verantwortlich war, war gut im Verdrängen. „Ich saß am Schreibtisch, machte meine Sachen. Ich habe nie selbst, immer nur im Auftrag entschieden.” Zum anderen stellt der Schauspieler Florian Lenz für das Portrait eines Massenmörders eine interessante Reibung dar. In Shirt, Strickjacke, Jeans und ohne Schuhe mimt er rauchend und auf einem leder-goldknöpfigen Zweisitzer liegend den angetrunkenen Eichmann. Der charismatische 27-Jährige mit asymmetrischer Frisur schafft es, hinter dem kalten Wesen Eichmanns auch die sensible Weinerlichkeit der heutigen Generation vorscheinen zu lassen. So schreit und weint er am Ende Eichmanns Verteidigung vor Gericht aus sich heraus, als wäre er Richter, Täter und Opfer in einer Person. Nach beklommener Stille dann großer Applaus.

So verstörend dieser Abend, so provozierend der andere. Handschellen, Peitsche, Phallus-Luftballons, formähnliche Gemüse, ein Glas Milch – dies ist nichts für Verklemmte. Im Wiener Gastspiel von Regisseurin Fanny Brunner „Pornorama – Ein Männermärchen” demonstriert Karen Köhler pornografische Praktiken am eigenen Leib. Mit ihrer Assistentin, die braune Gummipuppe Lulu, und einer Zucchini stellt sie Szenen nach, erläutert Unterschiede sexueller Erregung bei Mann und Frau, reicht Bananen, Brusthaartoupets und Porno-DVDs als Anschauungsmaterial herum. Doch ihre „Lecture-Performance” öffnet auch den Blick für die Abgründe. Mit Fakten über die größte Industrie der Welt weiß sie das verlegene Kichern jäh zu unterbinden. Ein jährlicher Umsatz von 97 Mrd. US-Dollar und 8 von 10 Internet-Klicks gehen an die Pornoindustrie. Das überleben nur wenige – über eine Leinwand läuft ein nicht enden wollender Film mit Bildern jung verstorbener Pornodarsteller, deren Durchschnittsalter gerade mal 37 beträgt. Köhler begegnet der Absurdität der Branche mal mit Witz, mal mit Unverständnis oder Verzweiflung: „Wie soll man Extreme noch steigern? Da bleibt doch nur Gewalt!” Bittere Erkenntnisse wie diese wirken in komödiantischer Atmosphäre umso härter. Die Hamburgerin stöckelt mit roten Pumps, pinker Strumpfhose und Selbstironie um ihr Sex-Toy-Sammelsurium herum und ist fantastisch hemmungslos.

AKT // ROMY WEIMANN TERMINE IM JANUAR: DEUTZER ZENTRALWERK, EICHMANN, 28.

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