Interview Annika Wind || KulturWest Oktober 2021 – 31.10.21
Wem gehört die Stadt? Wie sollte sie aussehen? Diese Fragen haben Anja Kolacek und Marc Leßle oft beschäf- tigt. Denn dort, wo die Verwaltung der Klöckner- Humboldt-Deutz AG residierte – die erste Gasmotorenfabrik der Welt – hatten sie die raum13 gGmbH und das Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste etabliert. Ein Theater-Quartier, in dem sich historische und moderne Architektur, Wohnen, Arbeiten, Kunst und Wissenschaft verbinden können. Doch die Stadt hatte es versäumt, die Grundstücke im Otto-und-Langen-Quartier vorher günstig zu erwerben. So kamen ein Investor und zähe Verhandlungen dazwischen. Nun ist das Areal doch überraschend in den Besitz der Stadt übergegangen. Wie geht es jetzt weiter? Ein Gespräch mit Marc Leßle.
kultur.west: Herr Leßle, wofür steht der Begriff »raum13«?
LESSLE: Er bezeichnet einen Ort, den es nicht gibt – wie die 13. Sitzreihe in einem Flugzeug oder das 13. Zimmer in einem Hotel. Wir sind Künstler, Anja Kolacek ist Regisseurin und Choreografin. Ich bin Bühnenbildner und Lichtgestalter. 2007 haben wir uns als Label »raum13« selbstständig gemacht. Wir wollten für das Theater und die Kunst andere Räume schaffen. Weil wir glauben, dass das frontale Stadttheater in der Form des 19. Jahrhunderts nicht mehr der Raum ist, um heute Geschichten zu erzählen.
kultur.west: »raum13« ist auf einem Areal in Köln-Mülheim entstanden. Warum ist der Ort besonders?
LESSLE: Wir sind vor zehn Jahren über die erste Gasmotorenfabrik der Welt und Kölns größtes Industriedenkmal gestolpert. Ein riesiger Backsteinbau, in dem Ni- kolaus Otto mit Daimler und Maybach und Eugen Langen den Viertaktmotor ans Laufen brachten. Alles, was uns heute durch den Individualverkehr auf dem Magen liegt, hat dort seinen Ursprung genommen (lacht).
kultur.west: Was soll auf dem Gelände entstehen?
LESSLE: In Mülheim-Süd sind 50 Hektar bisher komplett für die Industrie genutzt worden. Das soll sich jetzt ändern: In Zukunft sollen dort 10.000 Menschen leben, wohnen und arbeiten. Entstehen wird ein neues Dorf in der Stadt. Darin gibt es allerdings einen Flecken von sechs Hektar, der noch nicht zu 100 Prozent überplant ist und wo man noch die letzten 150 Jahre der Industriegeschichte ablesen kann – ein Teil davon ist die KHD-Verwaltung, die im 19. Jahrhundert in so etwas wie dem deutschen Silikon Valley lag. Daraus entstand auch unsere Grundidee, genau hier einen innovativen Ort zu entwickeln.
kultur.west: Was genau hatten Sie in den vergangenen zehn Jahren auf dem Areal etabliert?
LESSLE: Mit dem Zentralwerk der Schönen Künste haben wir innovative Räume für den Dialog der Künste an der Schnittstelle von Stadtgeschichte und Stadtentwicklung geöffnet. Wir haben den Bedarf, die Wünsche und Forderungen für einen transdisziplinären Kulturort in Köln an etwas Konkretem und nicht an einem Phantom festgemacht und somit für die Stadt eine Blaupause und Machbarkeitsstudie für ein Haus der Künste erstellt. Aus dieser 10.000 Quadratmeter großen Skizze soll nun auf sechs Hektar ein Theaterquartier mit all seinen Gewerken erwachsen. Ein Musterquartier – die Kunst wird dabei Motor und Maßstab sein.
kultur.west: Klingt verlockend – warum hat sich die Stadt da so schwer damit getan, das Areal zu kaufen?
LESSLE: Die KHD-Hauptverwaltung hatte 2008 der Immobilienentwickler Gottfried Eggerbauer gekauft. Als wir 2011 dort eingezogen sind, gab es keinen Strom, kein Wasser. Wir haben Zukunftswerkstätten mit Künstlern, Architekten, Wissenschaftlern veranstaltet. Doch
dann wollte Gottfried Eggerbauer das Ganze nicht selbst entwickeln, sondern weiter veräußern. Wichtig war ihm dafür, dass die Räume leergezogen werden. Wie ein technischer Vorgang, als Grundvoraussetzung für den Verkauf.
kultur.west: Wie ging es dann weiter?
LESSLE: Nachdem Eggerbauer uns Ende Oktober 2019 gekündigt hatte, sind wir fraktions- übergreifend an die Politik gegangen und hatten zu dem Zeitpunkt auch schon einen Kunst- und Wissenschaftsbeirat gegründet. So ist der » Deutzer Appell« entstanden, in dem die Stadtspitze dazu aufgerufen wurde, diesen Raum für die Allgemeinheit zu erhal- ten. Das Ganze ist dann glücklicherweise in einem be- sondern Vorkaufsrecht der Stadt gemündet. Und in eine politische Resolution des Stadtrats, dass »raum 13« für die Entwicklung des Quartiers einen Anker- punkt bilden sollte.
kultur.west: Dennoch hat der Investor nicht direkt an die Stadt verkaufen wollen…
LESSLE: Ja, als die Stadt in Verkaufsverhandlungen gegangen ist, hatte Herr Eggerbauer noch andere Preisvorstellungen. So gab es nur noch das Vehikel, dass er selbst einen Käufer findet und man als Stadt dann das Vorkaufsrecht in Anspruch nimmt. Er hat dann an den Großinvestor Christoph Kahl verkauft. Für 21 Millionen.
kultur.west: Das heißt, dass ihm die Stadt jetzt 21 Millionen Euro für das Areal zahlen wird?
LESSLE: Ja, das ist der Stand der Dinge.
kultur.west: Was bedeutet das jetzt für Sie?
LESSLE: Aufgabe wird sein, das Zentralwerk der Schönen Künste jetzt erstmal wieder zu beleben. Wir sind ja zwischenzeitig geräumt worden und haben neun Wochen lang alles komplett abbauen müssen, was wir in zehn Jahren aufgebaut haben. Die komplette Verkabelung, Ton- und Lichttechnik, die Werkstatt und Kunst musste raus, wir hatten ja eine begehbare Kunstinstallation aufgebaut.
kultur.west: Wird die Stadt das Areal nun also künftig selbst entwickeln?
LESSLE: Ja, aber es sind noch einige Fragen offen. In welcher Struktur man das Ganze entwickelt, ob es eine Entwicklungsgesellschaft g eben und wie sie aussehen wird. Gemeinsam mit dem Liegenschaftsdezernat und dem neuen Kulturdezernenten Stefan Charles müssen wir die Möglichkeiten besprechen, wie das Quartier wiederbelebt werden kann. Einen Schlüssel haben wir jedenfalls noch nicht. Aber wichtig ist, dass wir als Künstler jetzt mit am Tisch sitzen und nicht mehr auf der Speisekarte stehen.
WWW.RAUM13.COM INTERVIEW ANNIKA WIND