DEUTZER GESCHICHTE

WELT AM SONNTAG NR. 21 // VON FRANK LORENZ // 26.05.2019

Die Bedeutung dieses Orts ist kaum zu ermessen: Es war nicht Stuttgart, es war nicht Detroit. Es war an einer Durchfahrtsstraße auf der rechten Rheinseite, wo der Viertaktmotor erfunden wurde.

Das Zeitalter der Motorisierung begann vor 150 Jahren in Köln-Deutz mit dem Ottomotor. Vom Glanz vergangener Tage ist nichts mehr zu sehen. Nun kämpft ein Verein für den Erhalt der historisch bedeutsamen Fabrikanlage.

Eine Gruppe von 15 Menschen steht vor dem Haupteingang eines ehemaligen Fabrikgebäudes in Köln. Sie haben sich zusammengefunden, um an einer Führung über ein weitgehend brachliegendes Industriegelände mit Weltbedeutung teilzunehmen. „Hier“, sagt Marc Leßle, entfernt sich ein paar Schritte von der Gruppe, stellt sich vor die lange Hausfront aus rotem Backstein und deutet auf eine bestimmte Stelle. „Hier ging sie 1869 los, vor 150 Jahren: die Geschichte der Motorisierung“

Zwei Jahre zuvor, 1867, hatte der Erfinder Nicolaus August Otto gemeinsam mit dem Ingenieur Eugen Langen auf der Pariser Weltausstellung den „Motor Nr. 1“ gezeigt, eine Gaskraftmaschine. Der Erfolg war so groß, dass bald darauf die Serienfertigung begann. 1869 hatte das Unternehmen so viele Mitarbeiter, dass es von der Kölner Altstadt dorthin zog, wo Marc Leßle und die Teilnehmer der Führung nun stehen: der früheren Heimat der Gasmotorenfabrik Deutz, die später umfirmierte in Deutz AG. 

Die Bedeutung dieses Orts ist kaum zu ermessen: Es war nicht Stuttgart, es war nicht Detroit. Es war an einer Durchfahrtsstraße auf der rechten Rheinseite, wo der Viertaktmotor entstand. Der Ottomotor. Der Verbrennungsmotor. Wo die Geschichte der Weltmotorisierung begann, mit ihren bekannten Neben- und Langzeitfolgen: von der Umgestaltung der Städte, die an die Anforderungen des Autoverkehrs angepasst wurden, bis hin zu Themen wie Umweltverschmutzung, Klimawandel, Zukunft der Mobilität. Nicht zu vergessen, dass Deutschland seine Wirtschaftskraft und seinen Wohlstand zu einem guten Teil der Automobilwirtschaft zu verdanken hat. 

GEWINNBRINGEND BEBAUEN

So eindeutig die kulturhistorische Bedeutung des Areals ist, so uneindeutig ist seine Zukunft. Investoren stehen parat, die das fünf Hektar große Gelände mit dem Namen Otto-Langen-Quartier gewinnbringend bebauen wollen. Und dass das Gelände nicht schon längst meistbietend verhökert wurde, liegt vor allem an dem Ehepaar Anja Kolacek und Marc Leßle. Die beiden der Theaterszene entstammenden Künstler, die unter dem Label Raum 13 arbeiten, gründeten in der Ex-Fabrik 2011 das Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste. Sie sorgten dafür, dass es wieder Strom und Wasser gibt. Sie laden zu Ausstellungen, Performances und Zukunftswerkstätten ein. Und zu Führungen durch die langen ehemaligen Verwaltungsetagen und riesigen Montagehallen, deren Wände mit Graffiti vollgesprayt sind und wo Vögel nisten, Birken wachsen und Moos sich ausbreitet. Seit die Deutz AG 2007 nach Köln-Porz zog, erobert die Natur das Gelände zurück. 

„Das hier ist ein Museum der Moderne. Mit dem Anspruch, Weltkulturerbe zu sein“, sagt Marc Leßle. Für ihn ist Deutschland, von seinem automobilgeschichtlichen Ursprung her gesehen, Deutzland. Und an der Frage, was mit dem Gelände nun geschehen soll, wird einer der großen Konflikte anschaulich, der die moderne Stadtentwicklung prägt: der Widerstreit zwischen Investoren- und Gemeinwohl. 

„Welche Räume brauchen wir in Zukunft?“, fragt Anja Kolacek während der Führung. Sie und Leßle sehen in dem Gelände einen perfekten Ort, um ein „Reallabor“ zu entwickeln, einen Ort der sozialen Innovation, wo mit alternativen Wohn- und Arbeitsmodellen experimentiert wird. 

Doch die Entscheidung darüber, was mit dem Otto-Langen-Quartier gesche- hen soll, wird anderswo getroffen. Der Großteil des Geländes gehört dem Land NRW. Die Stadt Köln, die grundsätzlich für den Erhalt ist, würde es zwar gerne kaufen und ließ schon einen „Rahmenplan“ entwickeln. Doch es gehe nur zäh voran, sagt Andreas Röhrig, Geschäftsführer von „Moderne Stadt“, der Kölner Gesellschaft zur Förderung des Städtebaus und der Gemeindeentwicklung: „Wir warten auf eine Klärung, ob das Land das Gelände unmittelbar an Köln verkaufen darf.“ Darüber zu befinden haben gleich zwei NRW-Ministerien: das Stadtentwicklungs- und das Finanzministerium. Und dort, so heißt es, sei man uneins, wie man haushaltsrechtlich verfahren soll. Die einzige Aussage dazu kommt von Cornel Volk, Projektmanager der landeseigenen Stadtentwicklungsgesellschaft „NRW Urban“: „Die die Veräußerung der Fläche werden geprüft“, sagt er. 

Im Lauf der Jahre haben Anja Kolacek und Marc Leßle viele Mitstreiter gefunden, die sich für eine Nutzung des Geländes stark machen, die seiner Vergangenheit als Epizentrum der Weltmotorisierung gerecht wird. Einer davon ist Walter Buschmann, Professor an der RWTH Aachen, Denkmalpfleger und Vorsitzender des Fördervereins Rheinische Industriekultur. Viel historische Substanz sei schon zerstört, sagt er. Das Fabrikgelände war weitaus größer als die nun in der Diskussion stehenden fünf Hektar. „Auf der anderen Straßenseite befand sich der Kleinmotorenbau“, sagt Buschmann. Der Investor, die Gerchgroup, ließ die Hallen abreißen. „Mit ihren Sägezahndächern waren sie auch architektonisch besonders“, sagt Buschmann, „das ist ein Verlust.“ 

EIN TOAST AUF DEN MOTOR 

Buschmann, der die treibende Kraft war, als 1986 die Essener Zeche Zollverein unter Denkmalschutz gestellt und vor dem Abriss bewahrt werden konnte, ist der Meinung, dass das Areal den Anspruch auf einen Eintrag als Weltkulturerbe habe. Zugleich sei er „desillusioniert“. Zu viel sei bereits abgerissen worden, um die Anforderungen an Authentizität und Integrität zu erfüllen, wie sie ein Weltkulturerbe-Titel verlangt. Der Widerstreit zwischen Gemein- und Investorenwohl, Kultur und Geld zeigt sich am Deutzer Beispiel sehr konkret: Auf der einen Straßenseite, wo ein privater Investor zum Zug kam, sind die Monumente aus der Vergangenheit verloren. Auf der anderen, wo drei Gebäudeteile unter Denkmalschutz stehen, gibt es noch Hoffnung, dass die Geburtsstätte des Automobils nicht aus Versehen verschüttgeht. 

Das Ende der Führung naht. Anja Kolacek und Marc Leßle bitten in die ehemalige Vorstandsetage, in ein holzgetäfeltes Besprechungszimmer. Es gibt eine Runde Schnaps. Mark Leßle beendet die Tour mit einem Toast auf jene Errungenschaft, der die Menschheit im Guten wie im Schlechten viel zu verdanken hat. Er hebt sein Glas und sagt: „Auf den Verbrennungsmotor.“ 

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