ALICE’S DINNERPARTY

Stadt Revue Juni // Christoph Ohrem – 01.06.2013

Ein kurzweiliger Abend, der schauspielerisch über­zeugt und musikalisch begeistert.

Psychedelisches Selbstfindungskonzert

In Alice’s Dinnerparty jagt die Heldin ihren splitterten Ichs hinterher

Diffuses Licht, Bässe wummern. Am Ende der Halle schimmert durch große, durchsichtige Kunst­stofflammellen ein blattloser Baum, an dem eine blonde Perü­cke baumelt; daneben steht ein Reh. Eine Frauengestalt (Lisa­Gwendolin Eichberger), ins Gegen­licht getaucht, bewegt sich wie in Zeitlupe auf das Publikum zu. Alices Fall durch das Kaninchen­loch in das merkwürdige Wunder­land erinnert hier an eine Geburt.

Schnell wird klar, dass die Geschichte der kleinen Alice mit ihrem Repertoire aus Wahnsinn, Wahrnehmungs-, Raum- und Zeit­verschiebungen, die Lewis Carroll Mitte des 19. Jahrhunderts schrieb, an diesem Abend alles andere als harmlos ausfallen wird.

Das Ein­-Personen-Stück, das rauml3 unter dem Titel »Alice’s Dinnerparty« zeigt, ist als Reihe angelegt. Die Protagonistin wird im Wechsel von namhaften Musikern begleitet. Im April war es Tausendsassa FM Ein­heit, im Mai der Elektroniker Hans Nieswandt und im Juni wird es die Eklektikerin DJ Marcelle sein.

Die Geschichte der Identitäts­suche schält sich nach und nach aus eigenen Textfragmenten und Dialogen aus der Vorlage heraus. Man trifft auf die Grinsekatze oder etwa die dicke Raupe mit der Was­serpfeife. Mal übernimmt Eichber­ger die Rolle der Erzählerin, mal spielt sie die Rollen mit kleinen Handpuppen im Zwiegespräch mit sich selbst. »Alle tun immer so als ob«, beschwert sich Alice beim Publikum. »Als ob sie glücklich wären, als ob sie ehrlich wären.« Während ihrer Anklage schlägt sie wie eine Furie zum wiederkehren­den Ruf »Als ob!« martialisch auf ein großes Metallfass ein, was gehörig an die Schmerzgrenze geht. Die Musik von FM Einheit wabert dazu im Hintergrund. An anderen Stellen unterbricht der Sound die Handlung, so dass Eichberger ihren Text immer wie­der an die Stimmung der verspul­ten Elektroklänge anpassen muss. Ihr Spiel ist ausdruckstark und wird virtuos, wenn sie sich selbst auf dem Keyboard begleitet und in der Szene mit dem verrückten Hutmacher »Mad World« von Tears For Fears singt.

Diese Dynamik lässt die gut zwei Stunden wie im Flug verge­hen. Aber was ist der Abend nun: Theater, Live-Konzert, Installation? Alles. Ein gelungener Mix, der einen psychedelischen und genre­übergreifenden Blick auf Carrolls Klassiker ermöglicht. Es ist ein sperriger und doch kurzweiliger Abend, der schauspielerisch über­zeugt und musikalisch begeistert. 

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