BUCHPROJEKT SCHILDERT WOHNUNGSNOT ANHAND DER ORGINALAKTEN DER KLÖCKNER HUMBOLDT DEUTZ AG

MÄUSE LAUFEN ÜBER DAS KIND | KHD AKTEN

Kölnische Rundschau | Von Michael Fuchs – 19.02.21

Alte KHD-Akten sind in „Raum 13“ zu Kunst geworden 

leibe kein neues. Nach 1945 war der Mangel an Wohnraum in der zerstörten Stadt so dramatisch, dass sich heutige Generationen kaum ein Bild davon machen können. Bis weit in die 60er-Jahre hinein hausten viele Kölner in Baracken und notdürftig wiederhergestellten Altbauten. 

Wie groß die Not war, soll ein neues Buch zeigen, das der Autor Wolfgang Stöcker zurzeit vorbereitet. In der ehemaligen Hauptverwaltung der Klöckner-Humboldt-Deutz AG (KHD), in der seit elf Jahren die Künstlerinitiative „Raum 13“ kreativ tätig ist, hatte er einen Aktenordner mit Wohnungsgesuchen von KHD-Arbeitern entdeckt. Den Ordner hatten die „Raum 13“-Macher Anja Kolacek und Marc Leßle im früheren Konferenz-Raum des KHD-Vorstands in eine Installation eingebaut. Stöcker begann, die rund 400 Akten durchzuarbeiten und stieß auf bewegende Zeitzeugnisse. In der Hoffnung, bei der Zuteilung einer neuen KHD-Werkswohnung berücksichtigt zu werden, schildern Beschäftigte ihre prekären Wohnverhältnisse. Im Januar 1956 schreibt ein Arbeiter: „Eine ausgebaute Waschküche, feucht. Kind öfters erkrankt, fürs Kind keine Bewegung möglich. Ehefrau Wechselschicht, am Tage keine Ruhe für zu schlafen. Mäuse, die übers Kind laufen.“ Ein anderer berichtet, die Küche diene „als Aufenthaltsraum für vier Personen und zugleich als Schlafraum meines Vaters“.

Stöcker hat versucht, die Geschichten hinter den Akten zu erzählen, hat nach den Häusern der Arbeiter gesucht, ihre Angaben sieht er als „Schaufenster in die Vergangenheit“ und „moderne Poesie“. In dem Buch will er seine Texte mit Faksimiles von Originalakten kombinieren. Erscheinen soll es im Herbst in einer Schriftenreihe des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchivs (RWWA). Auch eine Ausstellung ist geplant. 

„Da geht einem als Historiker das Herz auf“, sagt RWWA-Direktor Ulrich Soénius über das Projekt. Die Akte sei Gold wert – weil sich anhand eines einzigen Dokuments so vieles vermitteln lasse. Kolacek und Leßle erklärten, dies sei ein weiteres Projekt von Bedeutung für die Stadt, das aus ihrer Arbeit entstanden sei. „Ohne euch gäbe es die Akte nicht“, bestätigte Soénius. Die beiden hatten den Ordner im Keller gefunden. Wie berichtet, droht den Künstlern die Räumung durch den Eigentümer.

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